Nach einer kurzen Begrüßung und Einführung durch die Moderatorin, Franziska Kuntze von POLOLO, widmete sich Dr. Wieland Kinz der Frage, ob das Tragen von Barfußschuhen sinnvoll ist und bezog sich bei seinen Ausführungen auf seine jahrzehntelangen Erfahrungen mit internationalen wissenschaftlichen Untersuchungen – der Vermessung von Kinderfüßen und -schuhen. Im Grunde geht diese Erörterung schon sehr weit zurück – denn bereits im Jahr 1782 hat es eine erste wissenschaftliche Abhandlung gegeben, die zur Erkenntnis führte, dass die Füße beim Gehen länger werden, weshalb Schuhe länger als die Füße sein müssten. Eine Skizze aus jener Zeit zeigt die überlagerten Umrisse einer Schuhsohle und eines Fußes, die deutlich machten, dass Schuh- und Fußform nicht zusammenpassen, der Fuß also „viel zu wenig Platz im Schuh“ hat.

Barfußschuhe zeichnen sich durch kleinen Großzehenwinkel und Flexibilität der Sohle aus

 

dr-wieland-kinz-vortrag-290623-passform-abhandlung-1782Dr. Kinz machte sodann einen Sprung in das Jahr 2014, als der „Nike free“-Schuh auf den Markt gebracht wurde, der sich schon so wie ein Barfußschuh angefühlt habe – allerdings sei dieser auch immer noch im Zehenbereich „zu eng“ gewesen. Hierzu zeigte er eine Abbildung mit dem deutlich ausgeprägten Großzehenwinkel.

Die Entwicklung sogenannter Barfußschuhe ging weiter und führte schließlich z.B. zu den „FiveFingers“-Modellen von vibram mit geradem Zuschnitt im Großzehenbereich. Er stellte klar, dass Schuhe, die rechts und links nicht unterscheidbar sind, der natürlichen Fußform zuwiderlaufen. Sogenannte Barfußschuhe ließen sich am besten über den Großzehenwinkel (möglichst klein) und die Flexibilität der Sohle (möglichst ausgeprägt) definieren.

Methodische Untersuchungen in Asien hätten zu erstaunlichen Erkenntnissen geführt: So wurden 1958 im großen Umfang Messungen bei den damals noch sehr häufig anzutreffenden Barfußläufern in China vorgenommen – hieraus ließ sich die Erkenntnis gewinnen, dass Schuhträger 17-mal häufiger einen Hallux Valgus als Barfußgeher aufweisen.

 

 

dr-wieland-kinz-vortrag-290623-japan-grosszehenwinkelAuch Erfahrungen aus Japan unterstreichen diesen Befund: Bis 1972 soll dort keine einzige operative Korrektur eines Hallux Valgus notwendig gewesen sein – aber dann zunehmend in Folge der 1960 einsetzenden Produktion geschlossener Schuhe.

Während nämlich ab 1960 die Herstellung der traditionellen offenen „Japanes Wooden Clogs“ und dazu passender Socken massiv zurückging, stieg gegenläufig die Anzahl der produzierten geschlossenen Lederschuhe an.

Mit einem zeitlichen Versatz von zwölf Jahren konnte dann ein Einsetzen und Ansteigen von Operationen zur Korrektur eines Hallux Valgus beobachtet werden. Nicht nur Schuhe mit ausgeprägtem Großzehenwinkel sind demnach gesundheitlich problematisch, sondern auch Socken – diese sollten eben anatomisch korrekt „kerzengerade“ sein.

 

Füße in Socken – worauf ist zu achten?

 

Zum Thema Socken merkte er auch noch an, dass er bei dem Vermessen von Kinderfüßen festgestellt hat, dass Füße in Socken kleiner und schmaler ausgefallen sind: Zuerst wurden die Füße in Socken und dann barfuß vermessen. Er hatte damals erwartet, dass die Füße in Socken aufgrund des Materials länger und breiter zumindest aber gleich lang wie barfuß sind. Zu seiner Überraschung war es aber genau andersrum: Mit Socken waren die Füße kürzer und schmaler als barfuß.
Dr. Kinz merkte im Vortrag daher zwei Aspekte zum Thema Socken an:

  • a) Die Zehenspitze: Die meisten Socken laufen vorne spitz oder trapezförmig zu. Das ist ergonomisch nicht sinnvoll und
  • b) Das Größensystem: Die meisten Socken sollen über vier bis fünf Größen passen – in der Regel sind sie viel zu kurz. Bei Socken sollte daher auf diese Aspekte geachtet werden.

 

Vermeidung von Fehlstellungen – passende Schuhe tragen oder barfuß gehen

 

dr-wieland-kinz-vortrag-290623-hallux-vagus-behandlungBedenklich erschien ihm die Recherche in der National Library of Medicine nach Methoden zur Behebung eines Hallux Valgus, denn der Schwerpunkt lag dort auf operativer Korrektur (gut 3.800 Publikationen), während konservative Methoden bisher offen¬sichtlich noch immer als nachrangig angesehen werden (nur gut 170 Publikationen).

Dr. Kinz‘ zugespitztes Fazit für eine konservative Behandlung: „Zieh passende Schuhe an oder geh barfuß!“ Barfuß zu laufen (wenn Untergrund und Temperatur es erlauben) sei einfach besser als mit einengendem Schuhwerk.

Sodann präsentierte Dr. Kinz ein Video-Interview mit dem Barfußschuh-Experten Alexander Tok, dem Betreiber des „Barfuß im PottCast“. Dieser führte aus, dass wohl anders als in südlichen deutschsprachigen Regionen es in Nordrhein-Westfalen nach seinen Erfahrungen inzwischen üblich sei, in regulären Schuhgeschäften Barfußschuhe im Programm zu haben – auch für den Sport. Die Nachfrage nach Barfußschuhen für Erwachsene wie Kinder nehme zu.

Er beschrieb den Vorteil der Barfußschuhe mit dem präventiven bzw. regenerativen Effekt: Im Idealfall kann das Tragen von Barfußschuhen Fehlstellungen vorbeugen bzw. sogar im gewissen Umfang noch beheben. Auch die Nachhaltigkeit gewinne auf Seiten der Kundschaft an Bedeutung. Abschließend gab er den Tipp, das Sortiment „klein“ (übersichtlich) zu halten und dabei verschiedene Breiten bzw. Weiten verschiedener Hersteller sowie eine gute Beratung anzubieten – dazu gehöre auch die ehrliche Aussage, dass ggf. derzeit kein passender Schuh verfügbar sei.

dr-wieland-kinz-vortrag-290623-fazitZum Abschluss eines Vortrags erwähnte Dr. Kinz noch, dass sein Standardwerk zurzeit einer Überarbeitung unterzogen wird: „Kinderfüße – Kinderschuhe. Alles Wissenswerte rund um kleine Füße und Schuhe“, 4. neu bearbeitete Auflage 2023. Voraussichtlicher Erscheinungstermin sei der Herbst 2023 (ISBN 3-00-005879-6).

Zusammenfassend für diese Neuauflage und den Vortrag stellte er fest, dass Schuhe und Socken, welche der Form des Kinderfußes im Zehenbereich nicht entsprechen, sinnlos bzw. sogar schädlich seien: „Das bedeutet: Möglichst gerade an der Großzehe und so breit, dass die Zehen nicht eingeengt werden!“

 

 

Diskussionsrunde mit erstaunlichen Erkenntnissen u.a. zur richtigen Messung der Schuhinnenlänge

In der sich Diskussionsrunde erwähnte Franziska Kuntze, dass öfter Eltern in den POLOLO-ShowRoom kämen und sich enttäuscht über die von manchen anderen Anbietern verwendeten Materialien zeigten (z.B. Polyester- statt Wollinnenfutter, was dann eben nicht warm hält und nicht atmungsaktiv ist). Sie unterstrich damit die Aussage von Alexander Tok, dass Nachhaltigkeit auf Kundenseite an Bedeutung gewinnt (s. auch häufiges Auftauchen von Kinderschuhen in der RAPEX-Liste: „Rapid Exchange of Information System“). Hinsichtlich der Ergonomie und Ästhetik scheint es aber bei den Kunden zuweilen immer noch Irritationen zu geben.

dr-wieland-kinz-vortrag-290623-schabloneAm Ende wurde noch die Problematik der richtigen Messung diskutiert. Dr. Kinz hatte gebeten, einen 20 cm langen Pappstreifen auszuschneiden (einen entsprechend langen Fuß repräsentierend) – dieser sollte nun mit einem geeigneten Messgerät vermessen werden, um eine Empfehlung für den Schuhkauf abzuleiten. Zwei gravierende Herausforderungen kamen zum Vorschein:

Eine Schuhgrößenempfehlung aus einer Messung heraus sei wenig hilfreich, denn in fast der Hälfte aller Fälle sei diese falsch – es gebe bisher kaum einen Hersteller mit korrekter Schuhgröße. Es gelte vielmehr, die Schuhinnenlänge genau zu bestimmen und unter Berücksichtigung eines Zuschlags von mindestens 12 mm mit der jeweiligen Fußlänge (etwa über eine Pappschablone ermittelt) abzugleichen.

Auf die Vermessung der Innensohle sei nicht immer Verlass, da diese (wohl aus Kostengründen) oftmals nicht mit der Schuhinnenlänge übereinstimme – manchmal würden Hersteller eine Innensohle sogar für vier Schuhgrößen anbieten. Anmerkung von Franziska Kuntze hierzu war, dass POLOLO mit diesem Verfahren im eigenen Showroom jedoch sehr gute Erfahrungen gemacht habe – aber bei POLOLO sind die Innensohlen auch alle den Größen angepasst.

 

Zum Abschluss der Diskussion

betonte Dr. Wieland Kinz, dass

  1. je weicher ein Schuh ist, desto besser der Fuß trainiert wird,
  2. auch zu kurze Socken die Fußgesundheit gefährden
  3. und auch die Kleinkinder den Zuschlag von rund 12 mm (wie die Erwachsenen) benötigen, weil deren Füßchen noch viel weicher und verformbarer sind.

hob Franziska Kuntze hervor, dass

  1. echte und unbehandelte Rohfasern wie z.B. Bio-Wolle oder Bio-Baumwolle wesentlich atmungsaktiver und besser für das Fußklima sowie den Ökologischen Fußabdruck sind, als Polyester,
  2. vegane Alternativen im Schuhkauf für junge Eltern immer wichtiger werden und
  3. pflanzlich gegerbte Leder chromfrei sind.

 

Wir danken allen Teilnehmern und insbesondere Dr. Wieland Kinz für die interessante Schulung!

Franziska Kuntze & POLOLO-Team

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Abbildungen 1-5: Dr. Wieland Kinz / Abbildung 6: Primeri GmbH

Weitere Informationen:

KINDERFÜSSE – KINDERSCHUHE
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