Gerbung

GERBUNG VEREDELT: AUS ROHHÄUTEN WERDEN LEDER
Rückgriff auf Jahrtausende alte Gerbverfahren dient Gesundheit und Umwelt

Pflanzlich gegerbte Leder als Basis eines ganzheitlich-ökologischen Ansatzes der Schuhproduktion.

Vom Abfallprodukt zum wertvollen Rohmaterial

Die Menschen der Frühzeit mussten Nahrung, Hilfsmittel und Materialien unter größten Entbehrungen und stetem Bemühen der rauen Natur abringen, um überleben zu können. Die Jagdbeute wurde daher möglichst vollständig verwertet: Aus den Fellen und Häuten der Tiere, die eigentlich zunächst Abfälle waren, lernten unsere Vorfahren wertvolle sowie nützliche Kleidung und Ausstattung herzustellen. Sie mussten hierzu Methoden entwickeln, um die schnell verderbliche, von Fäulnisprozessen bedrohte frische Haut geschlachteter Tiere halt- und verwertbar zu machen – die Gerbung erst macht aus Rohhäuten begehrtes, vielfältig verwendbares Leder.

Offensichtlich lernten die Menschen zunächst, dass das bloße Trocknen der Haut allein nicht hilft, sondern nur zu harter, brüchiger Konsistenz führt. Das Räuchern und Kauen des Rohmaterials war dann ein erster erfolgreicher Ansatz zur Konservierung – und irgendwann wurde entdeckt, dass pflanzliche Stoffe zur methodischen Gerbung mit besserer Qualität verwendet werden können. Daraus entstand schließlich ein Handwerk: Die Gerber in der Antike und später im Mittelalter nutzten Gruben in der Erde, in welche die Häute zusammen mit einem Sud aus Fetten und geeigneten pflanzlichen Substanzen über lange Zeit, oft viele Monate, versenkt wurden. Das fertige Leder diente dann als wertvolles Ausgangsmaterial anderen Handwerken zur Herstellung von Ausrüstungsgegenständen, Accessoires, Kleidungsstücken oder Schuhen.

Leder-Naturwaren auf Basis pflanzlicher Gerbung

Naturwarenhersteller setzen für Lederprodukte nicht nur überwiegend auf Pflanzengerbung, sondern verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz bei der Materialgewinnung, -verarbeitung, -nutzung und Entsorgung. Ein wesentlicher Ansatz ist die Verkürzung der Transportwege, um für die Schlachttiere quälende Anlieferungsbedingungen zu vermeiden und auf die vorläufige Konservierung der Rohhäute verzichten zu können. Hierfür wird die Kooperation mit landwirtschaftlichen Betrieben angestrebt, die sich einer artgerechten Haltung verschrieben haben. Über ethische Erwägungen hinaus gibt es auch ganz pragmatische Gründe, auf Massentierhaltung und unsachgemäße Tiertransporte zu verzichten, denn diese hinterlassen Spuren in der Tierhaut: Die Lederqualität leidet durch großflächige Wunden. Dagegen zeigt die Haut artgerecht gehaltener Tiere andere, spezifische Merkmale wie z.B. Narben von Dornen oder Insekten, wodurch diese Haut unverwechselbar wird und den aus ihr gefertigten Produkten eine individuelle Note verleiht.

Bei dem Rückgriff auf traditionelle Gerbverfahren werden Fässer oder Gruben mit Pflanzenextrakten eingesetzt, welche aus nachwachsenden Quellen stammen sollten – so etwa die Früchte des peruanischen Tara-Baums oder der türkischen Valonea-Eiche. In beiden Fällen bleiben die Bäume nach der Ernte der Früchte erhalten. Der Gerbprozess, der 20 bis 30 Monate dauern kann, basiert auf der Freisetzung von Tanninen, welche konservierend und zudem antiviral sowie antibakteriell wirken. Die aus solcher Gerbung stammenden Leder haben den typischen herben Geruch und fühlen sich weich an.

Chemie-Industrie: Zunahme der Effizienz – aber auch der Risiken

Mit dem Aufkommen der chemischen Industrie in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auch aus dem Handwerk der Gerber ein eigener, auf Effizienz zielender Industriezweig. Der Einsatz von Chromsalzen brachte eine ungeahnte Produktivitätssteigerung mit sich: Nicht mehr Wochen, Monate oder gar Jahre dauerte der Gerbprozess seitdem, sondern innerhalb nur weniger Stunden verwandelte sich ein übelriechendes, von Zersetzung bedrohtes Rohmaterial in einen wertvollen Werkstoff. Dieser Fortschritt ließ fast die alten Gerbmethoden auf pflanzlicher Basis in Vergessenheit geraten. Heute wird geschätzt, dass unter 20 Prozent der Leder für die Herstellung von Bekleidung noch aus Gerbverfahren mit rein pflanzlichen Stoffen stammen.

Der Fortschritt brachte neben Vorteilen aber auch Probleme mit sich – vor allem kann die heute den Weltmarkt beherrschende Chromgerbung Risiken für Mensch und Umwelt entlang der gesamten Prozesskette hervorrufen. So sind die Abwässer solcher Gerbereien mit gefährlichen Substanzen angereichert, darunter u.a. mit Salzen und Schwermetallen, die Mikroorganismen, aber auch größere Lebewesen töten können.

Chrom III oder Chrom VI – ein existenzieller Unterschied

Für die Chromgerbung werden Chrom-III-Salze verwendet, die vergleichsweise harmlos sind – jedenfalls im Vergleich zu Chrom IV (sogenanntes Chromat), dass als tausendfach giftiger gilt. Bei nicht sorgfältig durchgeführter und überwachter Chromgerbung kann nun aus dem bewusst benutzten Chrom III das unerwünschte und sehr gefährliche Chrom VI entstehen, welchem allergene und karzinogene Wirkung zugeschrieben wird.

Als problematisch wird auch die Entsorgung der bei der Verarbeitung entstehenden Abfälle sowie der Lederprodukte nach dem Ende ihrer Nutzungszeit angesehen. Insbesondere gilt es in Deutschland, jedes Jahr Zehntausende Tonnen alter Schuhe, Jacken und Polstermöbel aus chromhaltigem Leder so zu entsorgen, dass die Umwelt möglichst keinen Schaden nimmt – denn auch beim Verbrennen kann unter Umständen Chromat entstehen.

Strenger Umweltschutz in Deutschland: Gerbung im Ausland zur Umgehung

In Deutschland müssen Gerbereien gesetzlich definierte Grenzwerte beachten – so können hierzulande Umweltschäden durch Chromgerbung mit Hilfe einer hochentwickelten Abwassertechnik begrenzt werden. Der strenge hiesige Umweltschutz im Verbund mit relativ hohen Lohnkosten hat jedoch Auswirkungen auf den Preis des fertigen Leders, weshalb größtenteils auf Gerbereien im Ausland, insbesondere in der sogenannten Dritten Welt, zurückgegriffen wird. Somit werden die meisten in deutschen Schlachtbetrieben anfallenden Rohhäute exportiert – das fertige Leder wird dann wieder importiert.

In den lederproduzierenden Ländern der Dritten Welt bzw. in den sogenannten Schwellenländern fehlen zumeist Kläranlagen, so dass giftige Abwässer ungefiltert in Gewässer eingeleitet werden und das Grundwasser zu vergiften drohen. Brunnen können somit dauerhaft unbrauchbar werden: Die Landwirtschaft und die in der Umgebung lebenden und arbeitenden Menschen nehmen Schaden, wie auch ihre Umwelt. Ferner gibt es dort kaum Arbeitsschutzbestimmungen – selbst Kinder müssen lange, hart und für wenig Geld oft unter unwürdigen und gefährlichen Bedingungen arbeiten. Selbst elementare Schutzausrüstung wie z.B. Atemmasken oder Handschuhe fehlen zumeist. Viele erleiden deshalb Allergien, Stoffwechsel-, Atem- oder Hauterkrankungen.

Rohhaut-Export und Kundenerwartungen: Zusätzlicher Einsatz schädlicher Substanzen

Um Rohhäute vor Zersetzung insbesondere in Folge von Schimmel- und Fäulnisbefall auf längeren Transporten zu schützen, müssen ihnen schon vorab konservierende Stoffe beigegeben werden. So wird innerhalb Europas zumeist Salz bzw. Salzlake verwendet, um das Wasser der noch feuchten Felle zu binden, – dieses muss dann allerdings wieder herausgewaschen werden. Die Übersalzung der Abwässer in den betreffenden Regionen stellt dann auch eine ernste ökologische Herausforderung dar.

Für Schiffstransporte in entferntere Zielgebiete werden als gefährlich geltende Konservierungsstoffe wie etwa Trichlorphenol oder Tetrachlorphenol eingesetzt. In der Gerberei angekommen, müssen die Rohhäute zunächst von Haaren und Fleischresten befreit werden, wozu wiederum viele verschiedene Chemikalien und Seifen verwendet werden.

Die hohen Erwartungen der Kunden an Farbe und Struktur des Leders erfordern zusätzlich den Einsatz weiterer Chemikalien für die Oberflächenbehandlung – auch für die Beschichtung. Damit wird aber das eigentlich atmungsaktive Leder mit Hilfe ökologisch und gesundheitlich bedenklichen Substanzen versiegelt. Als Beispiele seien hier nur Polyurethan, Acrylharze sowie Fluorkohlenstoffverbindungen genannt.